Die Presse-Reaktion SZ vom Donnerstag, 12.
September 2002
Münchner Kultur "Hitler im Himmelreich"
Original
Zeitungsausschnitt
Braune Puppen
"Sieg Heil, Trallala, der Führer, der ist wieder da", kräht
es über den Marienplatz, und die ersten Eltern beginnen,
ihre Kinder wegzuziehen. Es ist doch nicht ganz das, was sie
sich erwartet hatten: Auf der Bühne eines Kasperletheaters
tanzen plötzlich Hitler und Speer als Handpuppen zu Gunter
Gabriels "Es steht ein Haus im Kosovo". Später gesellen
sich noch Himmler, Goebbels und Göring dazu, recken den
Puppenarm zum Nazi-Gruss und planen die Errichtung einer multinationalen
Waffen-SS. Dazu schwenken sie die Europaflagge mit Hakenkreuz.
Zum Jahrestag der Septemberanschläge hat mit "Hitler im
Himmelreich" ein Stück Premiere, das provozieren will,
indem es tagesaktuelles Geschehen mit Naziparolen unterlegt.
Daher wird aus dem Dschihad (Göring: "Gesundheit!") und
dem totalen Krieg der total heilige Krieg, und es dröhnt:
"Ein Volk, ein Deich, ein Führer". Das provoziert aber
nur wenige, Anspielungen wie "wir sparen uns das Bücherverbrennen
und ermorden den jüdischen Kritiker direkt" gehen an vielen
komplett vorbei. Lacher erntet dagegen das CSU-Wahlkampfmotto
"Sozial ist, was Arbeit schafft", das als Derivat einer Losung
aus dem Jahr 1933 enttarnt wird. Meist folgt das Publikum aber
eher mit einer Mischung aus ungläubiger Belustigung und
Ratlosigkeit. Am Ende gibt es nach kurzem Zögern Applaus.
Fraglich, ob sich Regisseur Marcus Hank wirklich weit aus dem
Kasperletheater lehnen wollte, wenn die Polizei vorab Bescheid
wusste. Die Menge zerstreut sich jedenfalls recht schnell wieder.
Zurück bleibt nur einer im Militäreinteiler, der mit
der Bierdose in der Hand über die politische Grosswetterlage
sinniert.
Thomas Metz
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Der bürgerliche Kulturbetrieb hat es
nicht gern, wenn man dem Feuilletonisten widerspricht, der Kritisierte
darf es schon gar nicht, es wirkt nämlich trotzig.
Also bleibt dem Kritisierten nur der Dank und das Lob für
das ihm entgegengebrachte Verständnis. Dieses äussert
sich in konkretem Falle in der kritischen Einschätzung
des vom Feuilleton verschriebenem Publikum und der Darstellung
was es denn sei - nämlich saudumm.
"Mütter zerrten ihre Kinder weg..." Was sollten sie
denn anderes tun? Ihren Kindern im Anschluss erklären,
dass der krakehlende Mann mit dem Chaplinbärtchen gar nicht
so lustig ist wie er tut und dass, was sie in der Schule über
ihn gelernt haben, wie auch ein Guido Knoop unentwegt im öffentlich-rechtlichen
Fernsehen lehrt, gar nicht so einfach ist wie es einfach scheint?
Dass der lustige Mann mit dem Chaplinbärtchen, Zeit seines
Lebens nicht so gewirkt hat wie er heute dargestellt wird, weil
ihn sonst wohl niemand lieb gewonnen hätte? Dafür
müsste man und auch Frau, müssten Väter und Mütter
nachdenken, warum er auch weiterhin nicht gemocht werden soll.
Nachdenken ist jedoch eine Disziplin, die den Vordenkern im
Feuilleton vorbehalten ist, weshalb auch sie zu erklären
haben, warum der Nachdenker nichts verstanden hat. Es ist nun
mal schwer in dieser Zeit - wo Nazis nicht mehr Nazis sondern
Rechtspopulisten sind und Antisemitismus nicht Antisemitismus
ist sondern ein gesundes Verhältnis zu Deutschland, Israel
und sich selbst - mit Anregungen und Assoziationen zu kommen,
wo das Volk doch Losungen möchte oder den telegenen Zweikampf
von Wiederkäuern und Zeitrednern.
Wir wurden missverstanden, weil nur der eine stehen blieb, schmunzelte,
lächelte, der andere aber weiterlief und schimpfte, weil
wir als Nazis gesehen wurden oder als "rot-grüne" Faschisten,
weil alle wissen wollten welcher Partei wir angehören,
weil's manch einer gar mehrere Male angesehen hat, weil der
ein oder andere deutsche Bürger immer noch so vom US-Amerikaner
besetzt ist oder ein traumatisierter Flüchtling aus Schlesien,
Ostpreussen und dem "Sudetenland", weil wir dem Opern-Besucher
mit unserem "Siegheiltrallala" den Sonnenuntergang in den Pausen
der "Walküre" vermiest haben oder weil wir es einfach "nicht
verdient haben hier zu leben".
Ja, wir haben versagt, weil wir das Publikum mit unserer Wertschätzung
überschätzt haben. Doch wir danken für das uns
entgegengebrachte Verständnis und wollen für eine
Annäherung ans Publikum arbeiten - bewegen müssen
sich jedoch beide Seiten!
Der Kritisierte
PS: Wir möchten uns hier noch dafür entschuldigen,
nicht verhaftet worden zu sein. Den Vorwurf nehmen wir gern
als Anregung für ein künftiges Happening in einem
Münchner Polizeipräsidium. Dort könnten wir im
Falle einer Nicht-Verhaftung immer noch so tun, als hätten
wir zumindest nichts unversucht gelassen. |
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